max zangger
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rosa leben

überall wo sonne wächst

rosa tod
rosa ist tot. totgemacht. rosa wird am 13. september 2011 auf der kalchbühlstrasse in zürich wollishofen von einem auto angefahren. schwer verletzt kriecht sie unter ein am strassenrand parkiertes fahrzeug. die menschen im auto merken nichts oder wollen nichts gemerkt haben. ist ja nur eine katze. oder vielleicht sehen sie im rückspiegel faro davonspringen und denken: glück gehabt, nichts passiert. doch sie haben nicht faro angefahren. rosa. sie ist da bereits unter das fahrzeug am strassenrand gekrochen. noch ist rosa nicht tot. noch leidet sie.
rosa und faro tummeln sich auf der strasse. kalchbühlstrasse: sackgasse. 30er-zone. angrenzend kuhweiden. sie spielen. sie entdecken die welt. schwester und bruder. rosa kommt zwei minuten vor faro zur welt. rosa ist also faros ältere schwester. und ältere schwestern haben auf ihre kleinen brüder aufzupassen. rosa hat aufgepasst. dabei wird sie totgefahren. das auto zu stark. zu mächtig.
unter dem parkierten fahrzeug gefunden hat rosa eine nachbarin der menschen, bei welchen rosa und faro leben. auf dem band um rosas hals steht eine telefonnummer. so werden die menschen gerufen. und eilen verzweifelt herbei. rosa liegt im beet neben dem haus. dahin hat sie die nachbarin gelegt. da ist kein blut. nur eine kleine schürfung am linken hinterbein. faro ist nah dabei. verwirrt schnuppert er an seiner leblos daliegenden schwester. komm, wir spielen noch ein wenig. komm, rosa, komm. rosa kommt nicht. faro wendet sich ab. die menschen tragen faro in die wohnung und bringen rosa mit dem auto zum doktor. der schreck sitzt in ihren knochen. faro bleibt zuhause. klein und unwissend. er hat sein ganzes leben mit rosa gelebt. also kommt sie wieder. wie immer.
doch rosa kommt nicht mehr.
die menschen sind sehr traurig und weinen. der tierarzt erklärt ihnen die bilder, die zeigen, wie es in rosa drin aussieht. das becken
zertrümmert. die gedärme abgerissen. nervenbahnen zerstört. noch ist rosa nicht tot. aber sie hat ihre sieben leben gelebt. und weil die menschen das nicht aushalten. das leiden. die qualen. wird rosa vom tierarzt tot gemacht. erste spritze. einschlafen. nie mehr erwachen. zweite spritze. das herz steht still. ganz still. der tierarzt befreit rosa von schmerz und leiden. so denken sie. die menschen.
rosa ist tot. nur tot.

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oder mir jemand / einen stern schenkte

rosa und faro kommen in die stadt
geboren sind rosa und faro im frühjahr desselben jahres im engadin. bauernhof. unterengadin. rosa sagt, das sei nicht wichtig, ob unter oder ober oder überhaupt engadin. wichtig sei nur, auf der welt zu sein. rosa und faro sind zwillinge. haben also ihr ganzes leben zusammen gelebt. sie sind beide feingliedrig und getigert. rosa rotbraunweiss. faro dunkelhellgrauweiss.
als rosa und faro auf die welt kommen, atmen sie und sehen nichts. blind, wie katzen nach ihrer geburt sind, bleiben sie erstmal ganz von der mutterkatze abhängig. alle gefahren müssen von ihr abgewehrt werden. die mutterkatze gibt ihnen milch. alles lernen sie von ihr. und später kaut sie ihnen die mäuse vor. daneben muss sich die mutterkatze um ihr eigenes futter kümmern. die mäuse. die vögel. und alles andere getier muss die mutterkatze selber fangen. da hilft ihr keiner. der vaterkater spielt in diesem leben keine rolle. auf dem bauernhof bekommen die katzen manchmal etwas futter. die schale mit der milch steht vor dem stall. ab und zu liegen da auch noch brotbrocken oder essensreste vom tisch der menschen, die da leben. arbeiten. essen. trinken.
irgendwann kommt für rosa und faro die zeit, auf die grosse reise zu gehen. auf dem bauernhof leben zu viele katzen. die menschen haben für rosa und faro einen neuen platz gefunden. sie sind zwar noch klein. aber sie brauchen die mutter nicht mehr. und die menschen sind froh, dass rosa und faro gemeinsam an einen neuen ort fahren können. unzertrennlich wie sie sind. und sie spielen doch so gerne zusammen. für die fahrt mit dem zug sperren die menschen rosa und faro in eine kartonschachtel. die fahrt im zug dauert lange. die menschen öffnen die schachtel. rosa und faro schnuppern und schauen sich ängstlich um. all die augen. all die hände. jöö, so schnüggel.
angekommen in der grossen stadt, übergeben die menschen vom bauernhof die kartonschachtel mit den zwei katzen den menschen aus der stadt. den menschen aus der stadt erscheint diese etwas gar klein und schwach. mit all ihren händen versuchen sie, die zwei stürmischen wesen zurückzuhalten. das auto steht im parkhaus. zehn minuten fussweg. rosa und faro dürfen nicht aus der schachtel springen. hier ist die grosse stadt. eine fremde welt voller gefahren. mit etwas zerkratzten händen erreichen sie endlich das auto. diesmal sicherer hort. türe zu. hinein in den im auto stehenden katzenkorb. gitter vor die öffnung. ausatmen. und jetzt heim. ganz ruhig. ganz ruhig. wir sind gleich da. im neuen heim. schon da. erleichtert stellen die menschen den korb in die wohnung. öffnen das gitter. rosa und faro beginnen ihre neue welt zu erkunden. so jöö. so schnüggel.
die welt von rosa und faro ist eine grosse wohnung in einem haus am rande der stadt. noch können sie nicht ins freie. die menschen meinen, katzen müssten sich zuerst in der neuen welt zurechtfinden. und sie sollen wissen, dass sie nun hier zuhause sind. der schreiner hat bereits eine katzenklappe in die wohnungstüre eingebaut. aber die klappe bleibt zu. vorläufig gibt es in der wohnung noch genug platz. spielen. schlafen. fressen. rosa und faro entdecken die welt. und das neue leben.

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ich bin so allein / fänd ich den schatten / eines süssen herzens

nicht allein
faro soll nicht alleine sein, sagen die menschen. und fragen sich, ob es für katzen eine zeit der trauer gibt. den toten körper von rosa haben sie beim tierarzt gelassen. sie wollen keine grabstätte im eigenen garten. sie wollen nicht immer erinnert werden. und wollen auch nicht wissen, wohin der tierarzt die tote katze bringt. sie sind traurig. fragen sich immer wieder, wie das geschehen konnte. sackgasse. 30er-zone. faro soll nicht alleine sein, sagen auch andere menschen. und jemand weiss von einer katze, welche einen platz braucht.
eine woche nach rosas tod kommt nera. schwarz. ganz schwarz. etwas rundlich. dickes fell. nicht so wie rosa. nera riecht nicht nach kühen. nera riecht nach stickiger wohnung und den wüstenmäusen im käfig.
dort wo nera herkommt, leben die menschen mit den katzen und den wüstenmäusen in einer wohnung am rande eines kleinen dorfes. doch die wohnung ist zu klein für noch mehr katzen. die katzenmutter hat im frühjahr fünflinge geworfen. etwa zur gleichen zeit, also rosa und faro auf die welt gekommen sind. die menschen aus der stadt dürfen wählen. entweder die getigerte oder dann die schwarze. sie wählen die schwarze. das schwarz von nera erinnert die menschen nicht an das rotbraunweiss von rosa.
sie geben ihr einen neuen namen. zu faro, dem leuchtturm, passt der name nera, die schwarze, besser als blacky. wie die menschen aus der wohnung am rande des kleines dorfes die kleine schwarze katze genannt hatten. auch die schwarze. aber das schwarz von nera ist ein anderes als das schwarz von blacky. das schwarz von nera ist weicher. leuchtender.
nun lebt faro mit nera in der grossen wohnung am rande der grossen stadt. bald haben sie sich aneinander gewöhnt. sie können den ganzen tag ins freie und zurück. wie sie das wollen. faro will das. nera ist scheu und ängstlich. sie bleibt lieber in der wohnung. nur manchmal, da schleicht sie ins treppenhaus. aber nur wenn sie sicher ist, dass poldi nicht da ist. poldi ist der kleine hund aus der wohnung im unteren stock. und wenn nera fremde schritte hört oder es an der haustüre klingelt, verkriecht sie sich erstmal unters bett. und bleibt dort, bis die gefahr vorüber ist. faro aber überquert die strasse, auf der rosa vom auto angefahren wurde, fast täglich. drüben ist eine grosse wiese. kühe weiden. das kennt faro. dort, wo er geboren wurde, waren sie auch da. die kühe. immer wieder musste er aufpassen, nicht von einer kuh vertrampelt zu werden, wenn er vor dem stall milch aus dem kleinen topf schlabberte. oder die brotbrocken, die ab und zu darin lagen, rausfischte. die mutterkatze hatte ihm gezeigt, wo die milch steht. wie er mäuse fangen kann. wie er aufpassen muss, wenn die grossen schwarzen räder mit lautem brummen über den platz rollen. und auch rosa war da immer dabei. sie haben alles zusammen gelernt. zusammen gespielt. geschlafen. geträumt. faro erinnere sich nicht an rosas tod. meinen sie. die menschen.
irgendwann beginnt faro, die welt von draussen in die wohnung zu tragen. zuerst sind es grosse grasbüschel. ob er diese noch verwechselt mit den mäusen, die unter diesen büscheln leben, wissen wir nicht. wir menschen. es dauert eine zeit, bis faro eines der viecher, welche er rund um das haus fängt. quält. frisst. in die wohnung bringt. die menschen in der grossen wohnung brauchen faros hilfe bei der nahrungsbeschaffung eigentlich nicht. und so bringen sie das von faro hereingebrachte viech wieder nach draussen. morgens und abends öffnen sie eine büchse. büchsen öffnen kann faro nicht. das hat ihm mutterkatze nicht beigebracht. für das ist er auf die menschen angewiesen. dafür schnurrt er ihnen ins ohr. ins linke. ins rechte. nur, wenn sie ihm das törchen, das ihm den weg ins freie garantiert, abschliessen: dann ist er von diesen menschen enttäuscht. faro liebt es nicht, eingeschlossen zu sein. aber er lässt sich das nicht anmerken. die menschen sind ihm sehr dankbar dafür. sie öffnen ihm eine neue büchse. füllen den anderen topf mit wasser und kraulen ihn hinter dem ohr. dem linken. dem rechten. und jeden morgen öffnen sie das törchen.
mittlerweile leben faro und nera schon fast ein ganzes jahr zusammen in der grossen wohnung am rande der grossen stadt. nera ist immer noch sehr ängstlich. eine mischung tropfen von bachs blüten hat sie mutiger gemacht. erstmals wurde sie draussen gesehen. und das, ohne dass sie ein mensch rausgetragen hätte. was die menschen ab und zu taten. als sie merkten, dass nera gar nicht raus geht. und die menschen denken, eine katze kann doch nicht den ganzen tag nur unter dem bett liegen. unter dem bett ist der ort, wohin sich nera oft flüchtet. dort fühlt sie sich sicher. und will nicht gestört werden.
nera spielt gerne mit kleinen dingen. mit papierfetzen. mit murmeln. dreht pirouetten mit einem dürren blatt. sie fängt auch wassertropfen, welche aussen an den fensterscheiben runterrinnen. und sie fängt alles, was in der wohnung kreucht und fleucht. ameisen. spinnen. nachtfalter. auch vögel würde sie gerne fangen. so wie faro das tut. aber vögel sind keine in der wohnung. vögel sind draussen. dort draussen das leben aber voller gefahren.
faro ist ganz anders. nichts und niemand kann ihn gefährden. denkt er denn nie an rosa? und nera: wurde sie geschlagen? war der vaterkater ein böser? die mutterkatze eine räbin? die menschen wissen es nicht. nera will frisches katzengras. trockenfutter.
macht die büchse auf.

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liebe dich so / du mich auch / sag es doch

kein ende
faro und nera sind etwa sechs monate alt, als in der wohnung im haus am rande der grossen stadt ein neues wesen auftaucht. viel kleiner als die menschen, denen sie bis anhin begegnet sind. aber doch um einiges grösser als sie selber. vorsichtig schnuppern sie an der süsslich riechenden haut. und springen erschreckt davon, wenn das kleine wesen anfängt zu schreien. unser enkelkind, so nennen die menschen dieses kleine wesen. das enkelkind kommt bald wieder und wieder und sie gewöhnen sich aneinander. die katzen und das kleine wesen. ab und zu ist faro eifersüchtig. wenn die türe des zimmers, in dem das enkelkind schläft, geschlossen bleibt. faro will sich in das bett legen. weil, das bett gehört eigentlich ihm. meint faro. doch die menschen lassen das nicht zu. sie trauen dem wilden tier in der kleinen katze nicht. und das kleine wesen kann sich nicht wehren. noch nicht.

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kapitelzitate aus giselheer dem könig von else lasker schüler
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